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21.2.18

Du bist mein Railjet














Du bist wie ein Railjet in mein Leben gerast. Hast von 230km/h runtergebremst und auf Bahnsteig zwei außerplanmäßig gehalten. Vielleicht hätte ich vorher auf die Anzeigetafel sehen sollen, dann hättest du mich nicht so überrascht.
Zuerst dachte ich, du würdest nur einen kleinen Zwischenstopp einlegen. Kurz mal deine Türen öffnen, wieder schließen und dann zischend davon rollen. Aber wegen eines technischen Gebrechens bist du länger geblieben. Du hattest keinen Schlafplatz und eine ungeöffnete Flasche Gin. Du hast Rotz geheult, über deinen Ex und deinen abgebrochenen Fingernagel geschimpft. Deine verschmierte Schminke verwusch zur Kriegsbemalung und einen Ohrring hast du auch verloren. Die Laufmasche in der kohlschwarzen Strumpfhose war dir egal.
Ich hatte kein Ticket und wollte eigentlich nicht einsteigen. Aber du hast mich angesehen unter leuchtenden Tränen. Nur diese eine Station. Nur diese eine Nacht.
Filmriss.

Wir schwankten zusammen am Brückengeländer entlang. Über uns war es zeitlos schwarz. Der Fluss rauschte wie ein Röhrenfernseher. Ich stolperte und obwohl du mich aufgefangen hast, fühlt es sich noch immer so an, als würde ich fallen. Unsere Tunnelblicke trafen sich.
Wir schlangen unsere Arme umeinander, pressten unsere verklebten Lippen aneinander, dann unsere Zungen ineinander. Ich stellte mir vor, wie ich von der Brücke stürze und fragte mich, ob du mir hinterher springen würdest.

Filmriss.

Du liegst immer noch neben mir, irgendwo zwischen Schlaf und Koma. Die Morgensonne sengt viel zu früh durchs Fenster.
Ich lege meinen Kopf auf deine Brust. Sie ist feucht, benetzt mit heißem Schweiß. Ich streiche langsam deinen Bauch hinunter. An einer Stelle ist er klebrig. Blaue Flecken zieren deinen Hals. Ich vergrabe meine Hand in deinem Haar. Rot wie Rotweinkotze, fettig, verfilzt und wunderschön. Es stinkt nach Rauch und Mitternachtsdöner. Irgendwo darunter versteckt sich noch der süße Geruch deines Parfums.
Ich fühle mich, als hätte ich meine Haut ausgezogen und die Kleidung angelassen. Angenehm kaputt. Gedanken sind nur mehr Wirbel. Bin ich auf einem Trip oder verliebt?


Ich schließe die Augen und bin wieder am Bahnhof. Du stehst vor der Rolltreppe und wendest mir nur deinen Rücken zu. Der Lautsprecher knackt. Dieser Zug wird als Kurzzug geführt.

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