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8.6.17

Whisky und One-Night-Stands















Katrin und Paul trafen sich in einer Bar. Das Lokal war klein und verraucht, die wenigen Gäste balancierten betrunken auf den Barhockern. Im Hintergrund schallte nerviger Pop aus den Lautsprechern. In einer dunklen, gemütlichen Ecke setzten sie sich gegenüber. Er bestellte Whisky, sie ein Bier.

„Schön, dass wir es endlich geschafft haben“, sagte Paul und lächelte. Katrin lächelte zurück und zündete sich eine Zigarette an. Sie trug eine weiße Bluse und eine farblich passende Perlenhalskette. Ein geschmackvolles Armband glitzerte an ihrem Handgelenk. Ihr blondes Haar zitterte leicht im Zug des Deckenventilators. Ihre tiefblauen Augen funkelten ihn mit erwartungsvoller Neugier an. 
Paul hatte sie auf Facebook kennengelernt, in einer Studentengruppe. Ganz unromantisch. Er hatte ihr zuerst geschrieben unter dem billigen Vorwand, dass er eine Lektorin für seinen Fachartikel suche. Die junge Germanistikstudentin war ihm von Anfang an sympathisch gewesen. Nachdem er ihre Profilfotos, Statusbeiträge und abonnierten Seiten durchstöbert hatte, konnte er sich ein gutes Bild von ihr machen. Sie liebte exotische Reisen, lange Wanderungen, schwitzige Festivals, Konzerte und Partys, bei denen sich Paul nie blicken lassen würde. Aber genau deshalb gefiel sie ihm so gut. Vielleicht waren Katrins Abenteuerlust und ekstatischer Lebensstil genau die Abwechslung, die er gerade brauchte. 
Ein verschlafener Kellner stellte die Getränke auf den Tisch. Katrin schüttelte den Kopf und beschwerte sich neckisch über Pauls Trinkvorlieben. Whisky sei ein Schnöseldrink. „Und Bier ist rein statistisch gesehen ein Männergetränk“, entgegnete er grinsend.

Katrin gefiel dieses Grinsen. Sie wusste nicht was es war, aber Paul hatte etwas Anziehendes an sich. Nicht, dass er überdurchschnittlich attraktiv war. Eigentlich mochte sie keine Männer mit langen Haaren und Schnauzbart. Und sein Modegeschmack war praktisch nicht vorhanden. Mit diesen alten Second-Hand-Hemden und den weiten, zerrissenen Jeans sah er schon fast aus wie ein Obdachloser. Es war dieses ehrliche Lachen, das sich über sein unrasiertes Gesicht wie eine Welle ausbreitete, diese lockere Haltung und innere Gelassenheit, die Katrin faszinierten. Mit seiner schrägen Art und seiner gefuchtelten Gestik verwandelte er jedes Gespräch in ein visuelles Abenteuer. Er sah einem verschrobenen Maler ähnlicher als einem Teilzeitkoch mit abgebrochenem Psychologiestudium. Obwohl sie zuerst nicht viel von ihm gehalten und seine Absicht sofort durchschaut hatte, war sie froh, sich doch auf dieses Date eingelassen zu haben. Er hörte ihr interessiert zu und gab manchmal einen witzigen Kommentar von sich. Sie beeindruckte ihn mit einer Erzählung von ihrer journalistischen Zeit in Südafrika. Und so unterhielten sie sich stundenlang, bis ihnen die Gesprächsthemen ausgingen. 

Es wurde spät. Katrin und Paul waren ziemlich betrunken. In diesem Zustand begann Paul immer zu philosophieren. „… was ich damit sagen will ist, dass es keinen Unterschied macht, ob dein Glas halb voll oder halb leer ist. Hauptsache es ist was drin“, lallte er. Eigentlich quasselte er nur mehr, um peinliche Pausen zu vermeiden. Er begann immer mehr abzudriften und konnte sich kaum noch auf Katrin konzentrieren. Er mochte sie wirklich gern und war ursprünglich mit der Intention hergekommen, „eventuell“ mit ihr zu schlafen. 
Doch jeder Schluck Whisky machte das Vergessen schwerer. Wenn Katrin kicherte, hörte er stattdessen ein anderes Lachen, wenn sie sich die Haare zurückstrich, sah er für einen Augenblick die Bewegungen einer anderen Person und immer wieder glaubte er einen vertrauen Blick auf sich zu spüren. Dieser Schatten, der sich mit jedem Schluck auf ihn legte, war Natalie. 
Es ist schon zwei Jahre her, sie waren nur einige Monate zusammen, aber diese Frau hatte ihn in eine feurige Grube gestoßen, in der er langsam verglühte. Er sah ihr Gesicht in der U-Bahn und beim Einkaufen, vor dem Einschlafen und in seinen Träumen. Sie war wie eine lähmende Krankheit, auf die er kein Heilmittel finden konnte. Die inneren Narben platzten wieder auf und ließen brennende Gefühle herausbluten. Die Melancholie trieb ihn in den Wahnsinn. „Noch einen!“, rief Paul in Richtung Bar nachdem er einen großen Schluck seines Betäubungsmittels hinuntergespült hatte.

Sie wusste, dass sie nicht zusammenpassten. Es war schon länger her, dass Katrin in einer fremden Wohnung aufgewacht war. Diese One-Night-Stands waren ja doch irgendwie bedeutungslos. 
Als Paul nichts mehr zu sagen hatte, erinnerte sie sich unfreiwillig an all die verpassten Chancen. Ihr Leben war schon lange zu einem Gefängnis aus Verzweiflung und Selbsthass geworden. Nichts war mehr übrig von dem jugendlichen Idealismus, der sie antrieb, dem Willen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Katrin wollte aus der Gefangenschaft ausbrechen, dem Alltag entfliehen und ihre wahren Leidenschaften entdecken. 
Doch sie starrte nur gedankenverloren ins Leere und träumte von einer anderen Version ihrer Selbst. Ihr Körper fühlte sich hohl an, als ob er jeden Moment in sich zusammenfallen könnte. Zitternd drückte sie ihre Zigarette aus. Paul hatte sie schon komplett vergessen. Ab und zu täuschte sie ein Lächeln vor.

Katrin versuchte das Etikett von ihrem Bier zu pulen, scheiterte jedoch und kratzte irgendwann nur mehr darauf herum. Paul indes blies den Zigarettenrauch so in die Luft, als wollte er sich darin einhüllen und verstecken.
Sie schwiegen, jeder in seinen Gedanken versunken. Je länger sie so dasaßen, desto größer wurde die Leere zwischen ihnen, die sie mit Alkohol und Tabak zu füllen versuchten. Mit jedem Atemzug entfernten sie sich weiter voneinander.

In der Bar war es still geworden. Die anderen Gäste hatten das Lokal schon längst verlassen. Manche als Freunde, manche als Verliebte. Katrin und Paul blieben sitzen. Allein.

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